SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007
Am 15.Januar wurde Ecuadors neuer Präsident, Rafael Correa Delgado,
vereidigt, der bei diesem Anlass versprach, "den Sozialismus des 21.Jahrhunderts" aufzubauen, um
die Armut und Instabilität in dem kleinen Andenstaat zu überwinden.
Am Tag vor seiner Vereidigung nahm Correa in der kleinen Andenstadt Zumbahua, wo Correa in seinen
Zwanzigern Sozialarbeit geleistet hatte, an einer von Indígenas organisierten
Amtseinführungszeremonie teil. Daran nahmen auch die Präsidenten von Venezuela und Bolivien
— Hugo Chávez und Evo Morales — teil.
Correa, ein 43-jähriger
Wirtschaftsfachmann, benutzte seine Amtseinführung als Gelegenheit, um zu einer
"Bürgerrevolution" aufzurufen, die den Reichtum dazu verwendet, soziale und
Umweltbedürfnisse zu befriedigen, anstatt das gegenwärtige "perverse System" zu
bewahren, das dazu geführt hat, dass 60% der 13 Millionen zählenden Bevölkerung Ecuadors in
Armut leben und mehr als 3 Millionen auf der Suche nach Arbeit auswandern.
"Die lange Nacht des Neoliberalismus
geht ihrem Ende entgegen", sagte Correa. "Ein souveränes, würdevolles, gerechtes und
sozialistisches Lateinamerika beginnt zu entstehen."
In einer mit Bezügen auf
revolutionäre Gestalten wie Simon Bolívar und Che Guevara durchsetzten Rede rief Correa zur
lateinamerikanischen Integration auf der Grundlage von Kooperation und Komplementarität auf und
forderte die Regierungen auf, regionale Gesetzgebungen zum Schutz von Arbeiterrechten zu schaffen.
Die praktische Umsetzung von Correas
radikalem Programm für einen Wandel hat bereits begonnen. Am 16.Januar unterzeichnete Ecuador ein
Energieabkommen mit Venezuela. Venezuela wird ecuadorianisches Rohöl raffinieren und bei der
Entwicklung neuer Raffinerien behilflich sein. Gegenwärtig muss Ecuador Brennstoff zu ungünstigen
Preisen importieren, obwohl das Land einer der größten Ölexporteure Lateinamerikas ist.
Correa hat auch versprochen, Verträge
mit ausländischen Ölgesellschaften neu auszuhandeln, um mehr Geld für Gesundheit, Bildung,
Umwelt und Wohnungsbau aufzubringen. Die potenziellen Vorteile für Ecuador sind enorm: Die
Ölgesellschaft Oxy hatte ihre Verträge vor einem Jahr annulliert und die Regierung konnte seitdem
1,1 Milliarde US-Dollar allein aus diesen Ölfeldern erwirtschaftet.
Eine weitere Priorität für Correa
ist Ecuadors Auslandsschuld, die im November 2006 auf über 25% des Bruttoinlandsprodukts des Landes
geschätzt wurde. Correa hat zu verstehen gegeben, dass zumindest ein Teil der Schulden illegal sei,
und plant, sie neu auszuhandeln oder sie möglicherweise gar nicht zu bezahlen. Er hat auch zu einem
internationalen Schuldentribunal zur Verhinderung der Ausbeutung hochverschuldeter Länder aufgerufen
und gedroht, die Beziehungen zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds abzubrechen.
Am 17.Januar erklärte
Landwirtschaftsminister Carlos Vallejo das Vorhaben der Regierung, brachliegendes kultivierbares Land neu
zu verteilen. Ecuadors verwundbarer Agrarsektor stand im vergangenen Jahr im Zentrum der Massenproteste
gegen ein geplantes Freihandelsabkommen mit den USA. Correa ist entschieden gegen ein solches Abkommen und
bevorzugt stattdessen die eigenständige nationale Entwicklung und die lateinamerikanische Integration.
Der wichtigste Teil der Plattform des neuen
Präsidenten für den Wandel ist das Versprechen, eine Konstituierende Versammlung einzuberufen, um
die Verfassung neu zu bestimmen, damit die Abberufung gewählter Funktionsträger und eine
größere Beteiligung sozialer Bewegungen und indigener Gemeinschaften an der Regierung
möglich wird. Damit soll das traditionelle Parteiensystem geschwächt und die Verwirklichung der
Reformen ermöglicht werden.
Correa, dessen Partei Alianza País
keine Kandidaten für den Kongress aufgestellt hatte, sieht sich einer feindseligen Legislative
gegenüber. Seine Gegner im Kongress, der nahhezu einhellig als von einer korrupten und unfähigen
"Parteiokratie" geführt betrachtet wird, bildeten einen Block von 76 (von insgesamt 100)
Abgeordneten, um sich Correas Reformen zu widersetzen.
Correa drohte damit, zu Massenprotesten
aufzurufen und seine exekutiven Vollmachten dazu zu benutzen, den Kongress zu umgehen, aber am 12.Januar
wechselte die zweitgrößte Partei im Kongress, die Patriotische Gesellschaftspartei (PSP) von
Expräsident Lucio Gutiérrez (er war 2005 gestürzt worden), in dieser Frage die Seiten und
gab Correa eine vorübergehende Mehrheit.
Zuvor hatte Gutiérrez noch seine
Ehefrau und ein weiteres Kongressmitglied aus der PSP ausgeschlossen, weil sie Correas Vorschlag
unterstützt hatten. Weder Correa noch der indigene Verband CONAIE haben Vertrauen in Gutiérrez,
und die Kehrtwendung wird weitgehend als Beweis für die Korruptheit des politischen Systems
betrachtet.
Am 18.März wird ein Referendum
stattfinden — vorausgesetzt, es wird genehmigt —, um Correas Initiative zu unterstützen, und
eine Konstituierende Versammlung aus 87 Mitgliedern soll kurz danach von den verschiedenen Sektoren der
Bevölkerung gewählt werden. Die Versammlung hat 180 Tage Zeit, die Verfassung auszuarbeiten.
Correa steht vor einer großen
Herausforderung. Frühere Regierungen, die Reformen entlang ähnlicher Linien versprochen haben,
waren unfähig oder unwillig, sie durchzuführen, und setzten nur kleine Reformen durch, in der
Hoffnung damit das Großkapital und die Bevölkerung gleichermaßen zu beschwichtigen. Als
Reaktion darauf haben Massenmobilisierungen zum Sturz der letzten drei Präsidenten geführt.
Es besteht die Hoffnung, dass Correa diese
Regel durchbricht. "Wir sprechen nicht bloß über kleine Reformen, die die Dinge nur weniger
schlimm machen", sagte er bei seiner Amtseinführung. "Lateinamerika durchlebt nicht eine
Ära der Veränderungen", erklärte er, "es erlebt eine Veränderung der
Ären."
Aus: Green Left Weekly (Sydney), Nr.695, 24.1.2007 (Übersetzung: Hans-Günter Mull).
No comments:
Post a Comment
Note: Only a member of this blog may post a comment.